o.T. – (Schlafgestalten)
Ein Fragment von Jana Seehusen
Veröffentlicht zur Arbeit ausdruck unendlicher zärtlichkeit (2017-2018),
Transparentpapier 22 mg, 21 x 29 cm, Abdruck von Körper im Schlaf,
Edition von 400 im Katalog Dort, wo der Körper stattfindet (2018)
zum Hamburger Arbeitsstipendium für bildende Kunst
»Die Haut ist eine kontingente Mannigfaltigkeit; in ihr, durch sie und mit ihr berühren die Welt und mein Körper einander, das Empfindende und Empfundene; sie definiert die gemeinsame Grenze.«[1]
Inmitten der Publikation Dort, wo der Körper stattfindet liegt das Multiple Ausdruck unendlicher Zärtlichkeit (2017-2018). Es zeigt Abdrucke eines Körpers im Schlaf auf Transparentpapier. Kein Blatt gleicht dem anderen trotz des Seriellen. 400 lose Blätter, entstanden in einer unbenannten Anzahl von Nächten: Unbewusste Bewegungen des Schlafes entwerfen Bilder aus Knicken und Falten, Ein- und Abdrücken, einem Gemenge aus Körperspuren. Denn »[d]er Körper faltet sich, biegt sich, passt sich an, verfügt über mindestens 300 Freiheitsgrade, zeichnet vom Kopf bis zu den Füssen oder bis zu den Fingerspitzen einen komplizierten, wandlungsfähigen Weg zwischen den Dingen der Welt, changiert wie eine Alge tief unten im Wasser, tausendundeine Verteilerspur oder tausendundein Semaphor.«[2]
Ein vielfacher, sich vervielfachender Körper-Abdruck also, ›blind‹ mit dem Körper ›gezeichnet‹. Diese ›nackten‹ Blätter verschränken sich im Kontext von Kirstin Burckhardts performativen Arbeiten mit Subjekt-Vorstellungen, die erst im Zwischen von Körper(n), Sprache und Dingen entstehen. Im perspektivischen Verschneiden der polymorphen Blätter mit den Performances sehen wir: »miteinander verschränkte Erzählungen, jede auf gebrochene Weise durch das andere gefädelt und von ihr umfasst. Ist das nicht das Wesen der Berührung? […] eine Heimsuchung des Fremden in einem selbst?«[3]
Im Bild materialisiert sich der Körper zwischen An- und Abwesenheit, ein Blick doppelter Prägung tut sich auf, den Georges Didi-Huberman als Doppelbedingung kritisch befragt: »Ist der Prozess des Abdrucks die Berührung mit dem Ursprung oder der Verlust des Ursprungs? Erzeugt er das Einmalige oder das vielfach Verstreute? Das Auratische oder das Serielle? Das Ähnliche oder das Unähnliche? […] … Ich denke, dass der Abdruck das ›dialektische Bild‹, das Aufführen all dessen ist: etwas, das uns ebenso die Berührung anzeigt (der Fuß, der sich in den Sand eindrückt) wie den Verlust (die Abwesenheit des Fußes in seinem Abdruck), das uns ebenso die Berührung des Verlusts anzeigt wie den Verlust der Berührung.«[4]
Phänomene – wie den Schlaf – als gleichermaßen materiell wie diskursiv begreifend, gewissermaßen als »materiell-semiotische Akteure« wie Donna Haraway sagen würde, bringt hier Karen Barads queer-philosophische Forderung ins Spiel, auch die Berührung (touch) als ethische Aufgabe und keinesfalls als ›unschuldiges‹ Sinnesphänomen aufzufassen. Barad formuliert dies hinsichtlich der radikalen Erfahrung von Nicht-Identität und der immer schon gegebenen Verbindung mit dem Nicht-Menschlichen. »Jegliche Berührung beinhaltet eine unendliche Alterität, so dass einen anderen zu berühren bedeutet, alle anderen – auch das ›Selbst‹ – zu berühren, und das ›Selbst‹ zu berühren bedeutet, die Fremden in einem zu berühren. Sogar die kleinsten Teile der Materie sind unergründliche Vielheiten.«[5]
[1] Michel Serres, Die fünf Sinne. Eine Philosophie der Gemenge und Gemische, übers. v. Michael Bischoff, Frankfurt am Main 1998, 103.
[2] Ebd. 102.
[3] Vgl. Karen Barad, Berühren – Das Nicht-Menschliche, das ich also bin, in: Kerstin Stakemeier und Susanne Witzgall (Hgg.), Macht des Materials – Politik der Materialität, Zürich 2014, 163–176, 163.
[4] Georges Didi-Huberman, Ähnlichkeit und Berührung: Archäologie, Anachronismus und Modernität des Abdrucks, Köln 1999, 10.
[5] Barad, Berühren 2014, 171.
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